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Lieber Josef
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E-book345 pagine5 ore

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Der politische Hintergrund des 20.Jahrundert ist hier dargestellt, die Geschichte einer Generation die alles erlebt hat was nach dem zweiten Weltkrieg, in Deutschland passiert ist. Protagonist ist der junge Peter mit seiner Familie: seine Mutter, und sein Bruder Claus, mit dem eine tiefe und ergreifende Verbindung besteht. Sie wohnen in Heiligenstadt, ein Städtchen in Thüringen, wo während des Krieges nicht gekämpft wurde. Krieg war für die meisten Kinder nur was aus den Gesprächen der Erwachsenen aufgeschnappt wurde. Die meisten Frauen waren Kriegerwitwen, die Väter gefallen, vermisst oder in Gefangenschaft. Die Mütter mussten die Schwierigkeiten des Lebens, meistern, das Essen auf dem Tisch bringen.
Eine reine Beschreibung des täglichen Lebens: im Verlauf der Jahreszeiten zwischen Schultagen und Ferien bei Verwandten, kleine Entdeckungen, neue und alte Freunde. Peter und seine Klassenkameraden sind auf der Suche von Spielen, Schätzen, Liebe, neue Erfahrungen, und treffen ihre Zukunft.
Durch die Augen eines Kindes und seine Schlichtheit erlebt man die Ankunft der amerikanischen Soldaten zuerst, die Russen in der Folge, und die Geburt der DDR. 
„...Ich mir selber ein Versprechen gegeben habe“. Mein Bruder legte die Kuchengabel auf den Teller und sah mich gespannt an. Mutter hob erwartungsvoll den Kopf. Ich sah beide an, am Blick von Mutti blieb ich hängen. Wir sahen uns in die Augen: „Ich werde nie wieder, egal was passiert ein Gewehr in die Hand nehmen...“.
Ein Bildungsroman in dem mit Zärtlichkeit Kinder langsam erwachsen werden und sehr früh die härtesten Fragen des Lebens beantworten müssen, über Wahrheit, Politik, Religion, Freiheit, Gerechtigkeit und am meistens über das Ansehen ihrer eigenen Väter.

Peter Pahl, am 03.08.1940 in Meiningen Thüringen geboren. Aufgewachsen bis zum 17. Lebensjahr in Heiligenstadt Eichsfeld/ DDR.
Die Erziehung erfolgte durch die Mutter, und hat wesentlich zur Prägung des freiheitsliebenden Charakters beigetragen.
Nach Beendigung der Ausbildung zum Kaufmann kehrte er der DDR den Rücken und begann seine Freiheit in Berlin zu leben.
1961 Gründete er eine Familie und lebte mit Frau und drei Töchtern in Göttingen.
1972, mit dem Drang nach möglichst großer Unabhängigkeit, gründete er ein eigenes Unternehmen und führte dieses bis zum Verkauf 2009.
Für ihn heißt Ruhestand, etwas Neues ausprobieren, zu schreiben.
Seine Lebensmaxime: „Mein Herr ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, das Sie sie äußern dürfen“. (Voltaire).
LinguaItaliano
Data di uscita31 ago 2020
ISBN9791220104197
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    Anteprima del libro

    Lieber Josef - Peter Pahl

    Libri

    KAPITEL I

    Wir sind eine Generation von Kindern. Eine Generation gezeugt von ihren Vätern im Fronturlaub zwischen den Siegen einer unbesiegbaren Blitzkriegsarmee, eines gläubigen, von seinen Führern zur Herrenrasse ausgerufenen Volkes. Unsere Väter waren Helden. Helden, die für die herausragende Herrenrasse neue Helden zeugten. Dass Soldaten kurzzeitig für wenige Tage dem Blutrausch des Krieges entronnen, nur Ruhe und Wärme im Schoß ihrer Frauen suchten und dadurch neues Leben zeugten, passte nicht in die Ideologie der Mächtigen.

    Wir wurden als Helden geboren. Konnten das Wort kaum begreifen, schon waren unsere Väter Kriegsverbrecher, unsere Mütter Kriegerwitwen, wir Kriegswaisen. Eine unzählige Menge Kinder in allen Ländern der Erde ohne Väter, ohne Mütter, ohne Väter und Mütter. Kriegswaisen bei Siegern und Besiegten. Restmenschen, übrig geblieben nach der Auseinandersetzung zweiter Weltkrieg.

    Als wir eingeschult wurden Josef, es war der Tag an dem wir uns zum ersten Mal sahen. Es war heiß. Die Kastanien in der Allee mit ihren riesigen ausladenden Kronen spendeten angenehmen Schatten. Die Früchte waren teilweise schon aufgeplatzt. Ein heftiger Wind hätte sie sicher von den Bäumen geschüttelt. Wir saßen rechts und links von unseren Müttern, die Haare ordentlich gescheitelt, saubere Fingernägel, kurze Hosen, karierte Hemden, Kniestrümpfe und Sandalen. Zwischen den Knien eingeklemmt, du im rechten ich im linken Arm, jeweils eine riesige Zuckertüte. Unsere Mütter hatten uns strengstens untersagt aufzustehen, damit ja die saubere Aufmachung keinen Schaden nehme. Meine Mutter erklärte deiner Mutter, wie man aus einem Militärmantel deines Vaters für dich einen warmen Wintermantel machen könnte. Das Gespräch war für uns nur langweilig. Da wir durch Verbot an unsere Plätze gefesselt waren und zwischen uns unsere Mütter saßen, streckten wir uns wechselseitig die Zunge raus. Wir kriegten beide eine geklebt und traten beleidigt an den Händen unserer Mütter den Weg in das große, rote Backsteingebäude, das unsere Schule war, an. Über eine breite Treppe ging es in das erste Stockwerk in einen großen Saal, der vom Fußboden bis fast unter die Decke mit schwarz gestrichenem Holz getäfelt war. An der Decke hingen drei große, schmiedeeiserne Kronleuchter. An der Stirnwand war ein roter Vorhang, der, wie wir später feststellten, eine Bühne verbarg. Unsere Mütter zogen uns in eine Stuhlreihe und schon saßen wir mit baumelnden Beinen genau wie ein Haufen anderer Jungen da und warteten was nun kommen würde.

    Allmählich füllte sich die Aula. Das Wort Aula hatten wir aufgeschnappt, als der Hausmeister neben der schweren Eingangstür im Erdgeschoss immer sich wiederholend zu den ankommenden Eltern sagte: „Einschulung über Haupttreppe erster Stock, Aula". Wir saßen da, unsere Mütter flüsterten uns zu, dass wir die Beine stillhalten sollten. Deine Mutter machte ihre Fingerspitzen mit Spucke nass um dir eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. Die großen Flügeltüren wurden geschlossen.

    Durch die wegen der sommerlichen Wärme offenen Fenster drangen die Geräusche der Straße gedämpft durch die ausladenden Zweige der Kastanien in den Raum. Das Geklapper der Hufen eines Pferdegespanns, das schnarrende Klingeln eines Radfahrers, Rufe und Geschrei spielender Kinder, Vogelgezwitscher.

    Ein vornehm gekleideter Mann trat an das vor dem Vorhang aufgestellte Rednerpult, der Fußboden roch stark nach Öl, Stille war plötzlich im Raum. Der vornehm gekleidete Mann hielt eine Rede, die mit „liebe Eltern und liebe Kinder" begann und sicher nur von den Eltern verstanden wurde. Meine Mutter flüsterte deiner Mutter zu, dass der Redner der Rektor der Schule sei. Uns und alle anderen Kinder, Jungen, wir waren eine reine Jungenschule, interessierte das alles recht wenig. Wir wollten schnellstens an unsere Zuckertüten. Vorher ging aber noch der rote Vorhang auf und wir sahen den dahinter aufgestellten Schulchor. Wir Abc-Schützen wurden mit einem fröhlichen Lied begrüßt. Der Chor sah auch schön feierlich aus. Die Jungen hatten alle weißen Hemden an. Ich erkannte in der zweiten Reihe meinen Bruder. Meine Mutter konnte nur dadurch, dass sie mir ihre Hand blitzschnell auf den Mund legte verhindern, dass ich seinen Namen durch die Aula brüllte. Auch der durch Mutters Hand erstickte Ruf erregte um uns herum noch einiges Aufsehen. Einige Eltern drehten sich um, blickten mich streng strafend an und schüttelten missbilligend ihre Köpfe. Ich glaube, meine Mutter wurde rot. Ich bekam einen leichten Stoß ihres Ellenbogens in die Seite.

    Nachdem der Chor geendet hatte und der rote Vorhang sich wieder schloss, forderte der Rektor die Aufmerksamkeit der Eltern und mein ungehöriges Benehmen war vergessen. Die Flurtüren wurden geöffnet, an jeder Tür stand ein Lehrer mit einem Pappschild in der Hand. Auf den Schildern stand, soviel konnten wir schon lesen, Klasse 1a, 1b, 1c und 1d. Der Rektor verlas Namen. Monecke Egon, Fulle Gerd, Hagemann Horst. Jedes Mal, wenn ein Name aufgerufen wurde, standen die Eltern und Jungen auf und gingen durch die Tür an der der Lehrer mit dem Schild Klasse 1a stand. Bergmann Joseph, Adam Peter, das waren wir. Glück gehabt. Wir waren in der gleichen Klasse. Aufstehen an der Hand unserer Mütter, durch die Tür vorbei an dem Lehrer auf den Flur. Wir mussten noch etwas warten, bis der Lehrer die Tür schloss und damit die Klasse 1a vollständig war. Aufstellen in Zweierreihen und hinter dem Lehrer her zu unserem Klassenzimmer. Die Eltern kamen auch mit in die Klasse und standen etwas hilflos in den Gängen zwischen den Reihen herum. Wir wurden nach Größe sortiert und in die Bänke eingewiesen. Wir beide Joseph, du und ich waren für unser Alter groß und hatten dadurch den Vorteil, in die letzte Bank einziehen zu dürfen. Wir saßen zusammen. Vergessen war die Zunge rausstrecken. Wir hatten eine Viererbank für uns alleine.

    Achtunddreißig Jungen auf zwei Reihen je fünf Viererbänke verteilt. An diesem Tag, den ich als Beginn unserer Freundschaft ansehe, hatten wir beide nur den Vorteil gegenüber den anderen gesehen, dass wir zu zweit eine Bank für uns hatten. Wir nahmen von dem Lehrer, einem alten Mann, der für die nächsten drei Jahre unser Klassenlehrer sein sollte, den Stundenplan entgegen und durften wieder geordnet in Zweierreihen die Schule verlassen. Wir hatten es sehr eilig mit unseren Müttern nach Hause zu kommen, um endlich die riesige Zuckertüte zu öffnen um zu sehen, welche Schätze darin verborgen waren.

    Am nächsten Tag, zur Gewöhnung an die neue Pflicht, hatten wir nur eine Stunde in der der alte Mann uns ein Märchen vorlas. Auf dem Heimweg hatten wir uns gegenseitig gestanden, dass der größte Teil des Inhaltes der Zuckertüte aus Holzwolle bestand. Ich hatte zwei Rollen Drops, zwei Päckchen Brausepulver, eine Tüte Zitronenbonbons, ein Päckchen Keks und eine Tüte Plätzchen, die meine Mutter für mich gebacken hatte. Als besondere Überraschung, in Seidenpapier eingepackt, fand ich ein Taschenmesser mit einer großen und einer kleinen Klinge. Eine Nagelfeile war auch noch dran, die aber nie als solche benutzt wurde. Die Ausbeute war bei dir ähnlich. Als besonderes Geschenk hatte dir deine Mutter die Taschenuhr deines Vaters eingepackt. Du durftest sie zwar nur sonntags tragen, wenn deine Mutter dabei war, du warst aber der einzige in unserer Klasse, der im Besitz einer Uhr war. Der alte Mann, unser Klassenlehrer, hieß Fromm. Er war ein großer Mann und hatte eine sehr gerade, aufrechte Haltung. Seine hagere Gestalt bewegte sich trotz seines hohen Alters noch behände durch die Bankreihen unserer Klasse. Vom ersten Tag an als er unser Lehrer wurde, trug er weiße Hemden mit Stehkragen und Fliege, graue Hosen, graue Westen und schwarzes Jackett. Die schwarzen Schnürschuhe waren immer blitzblank und glänzten, als ob sie eben erst mit einer Speckschwarte abgerieben wurden. In der rechten Reverstasche sah man einen etwa 2 cm breiten Streifen eines weißen Taschentuchs. Herr Fromm hatte eine Glatze, die ebenso glänzte wie seine Schuhe. Wegen seiner Größe und der Glatze war er in den Pausen auf dem Schulhof leicht auszumachen und es war besser, man legte einigen Abstand zwischen sich und ihn. Während des Unterrichts trug er einen Kneifer, eine Brille ohne Bügel für die Ohren. Das Gestell war aus feinstem Gold. Wenn er hinter dem Pult saß und uns etwas vorlas, hielt er den Kopf leicht nach vorn gestreckt und nur soweit geneigt, dass er durch die Gläser lesen konnte aber auch sofort mit einem Blick über den Rand des Kneifers etwaige Übeltäter im Blick hatte. Wenn er den Kneifer nicht mehr brauchte, hob und senkte er kurz seine Nase, wobei sich seine Stirn stark in Falten legte. Der Kneifer fiel von der Nase. Sein Sturz wurde von einer goldenen Schnur abgefangen, die im Knopfloch des linken Revers befestigt war. Der Kneifer baumelte dann bis zur Pause vor der linken Brust von Herrn Fromm. Erst mit dem Pausenzeichen verschwand der Kneifer in der Reverstasche des Lehrers.

    Von unseren älteren Brüdern die bereits seit fünf Jahren in die Schule gingen erfuhren wir, dass sein Spitzname Seppelchen Feuerspucker war.

    Eigentlich war er schon seit Beginn des Krieges pensioniert und lediglich reaktiviert worden, weil auch die Lehrer das große Schlachten nicht überstanden hatten. Wir haben den Spitznamen schnell in der Klasse verbreitet. Wir redeten, wenn Herr Fromm außer Hörweite war, wie die Großen nur noch von Seppelchen Feuerspucker. Diesen Spitznamen hat er wohl deshalb bekommen, weil er, besonders wenn er sich aufregte und er regte sich oft über uns wilden Haufen von dummen Jungen auf, eine sehr feuchte Aussprache hatte. Die Jungen, die in den ersten beiden Reihen saßen, bekamen dieses sehr deutlich zu spüren.

    Oft waren die mühsam mit Griffel auf die Schiefertafel geschriebenen Buchstaben nach einem Zornesausbruch von Seppelchen Feuerspucker nicht mehr leserlich und die Betroffenen durften neu beginnen. Rauf runter rauf, Pünktchen drauf, ein „i nach dem anderen. Du hattest Glück. Von deinem Bruder erbtest du eine kleine Tafel. Meine Tafel war doppelt so groß und ich durfte die doppelte Menge „i schreiben. Rauf runter rauf, Pünktchen drauf. Einmal hatte ich versucht Gerechtigkeit zu finden indem ich die Abstände zwischen den Buchstaben vergrößerte. Seppelchen hatte sich sehr aufgeregt. Ich war ganz schön feucht und durfte das Ganze noch einmal machen.

    Ein Gerücht besagte, dass ein Schüler vor unserer Zeit gewagt hatte einen Regenschirm während eines Ausbruchs von Seppelchen aufzuspannen. Wir hatten überlegt, ob wir das auch machen könnten. Da das Gerücht aber nichts darüber berichtete, was aus dem Schirmaufspanner nach seiner beneidenswerten Heldentat wurde, verliefen unsere ähnlichen Planungen im Sande. Seppelchen hatte eine gefährliche Waffe. Einen Rohrstock, etwa 80 cm lang. Von der Handhabung dieses Stockes konnten wir präzise seine Stimmungen ablesen. Generationen von Schülern hatten dem Respekt vor diesem Stock die Grundbegriffe in Rechnen, Schreiben und Lesen zu verdanken. Wenn Seppelchen die Klasse betrat, sprangen wir auf. Die Sitze klappten mit Karacho nach hinten, die Klasse brüllte „Guten Morgen Herr Fromm. Seppelchen grüßte zurück „Guten Morgen Jungs. Die Klasse verharrte schweigend. Seppelchen nahm aus dem Pult seine Ärmelschoner, zog sie exakt bis über die Ellenbogen und griff zum Rohrstock, der immer quer auf dem Pult zu liegen hatte. Ein knappes „Setzen" Veranlasste die Klasse mit geräuschvollem Klappen der Sitze in eine angespannte Aufmerksamkeit zu fallen. Wenn Seppel den Rohrstock an beiden Enden faste und ihn rhythmisch zwischen seinen Händen durchbog, bestand keinerlei Gefahr. Wir durften einen Vortrag erwarten. Die erste halbe Stunde ging keine Gefahr von dem Stück Bambus aus. Nach Ablauf der ersten Hälfte der Stunde wurde der Stock mit der rechten Hand geschultert, mit der linken Hand griff Seppel nach seiner goldenen Uhr, die an einer ebensolchen Kette befestigt war und in seiner linken Westentasche steckte um sich zu überzeugen, dass es jetzt Zeit war bei uns zu überprüfen, was wir von seinem eben vorgetragenem Wissen aufgenommen hatten.

    In kurzen Abständen klopfte er mit dem Stock auf seine Schulter. Aus dieser Position heraus schnellte das Rohr als verlängerter Zeigefinger nach vorn und deutete auf einen Schüler. Dieser sprang dann auf und hatte die kurze Frage des Lehrers schnell und präzise zu beantworten. Seppel wanderte zwischen den Bankreihen rauf und runter. Stock nach vorne, Frage-Antwort, Stock geschultert. Es entging ihm nichts. Stock nach vorne, „Rietmüller, warum hast du so dreckige Schuhe, du Ferkel?. Bui, eine Abkürzung von Bubi, sprang auf. „Ich musste vor der Schule noch den Stall ausmisten und hatte keine Zeit mehr mir die Schuhe zu putzen Herr Fromm. Der Stock ging in Schulterstellung. „Aber deine Pfoten hättest du dir wenigstens waschen können, setzen".

    Der Pausengong erlöste uns von weiteren Fragen. Wenn Seppel mit seinem Stock gegen sein rechtes Hosenbein klopfte, war höchste Aufmerksamkeit geboten. Wenn der Stock aus dieser Position nach oben schnellte und auf einen Schüler deutete, so mussten die Fragen von Herrn Fromm schnell und richtig beantwortet werden. Die Zeit für die Antwort war durch Trommelwirbel auf seinem Hosenbein begrenzt. Legte er den Stock auf dem Pult ab und griff zu dem kleinen schwarzen Buch, das immer rechts an der oberen Ecke des Pultes lag, so wusste der Befragte, dass jetzt eine Zensur hinter seinem Namen eingetragen wurde. Bei diesem Ritual hatte das Pausenzeichen zum Schluss der Stunde erst dann Gültigkeit, wenn Seppel die Zensuren verlesen hatte. „Monecke 3, Wegener 2, Triebler 1, Stitz du Faultier 4. Du bist gewarnt, beim nächsten Mal bist du wieder dran". Das schwarze Buch klappte zusammen. Pause. Niemals in den drei Jahren, in denen Herr Fromm sich redlich bemühte uns die Grundbegriffe der Zivilisation wie er es nannte, Lesen, Schreiben, Rechnen und Heimatkunde beizubringen, hatten wir erlebt, dass er den Stock gegen einen Schüler einsetzte und ihn damit schlug. Der Stock war nur Werkzeug. Ständige Mahnung zur Aufmerksamkeit und Ordnung. Auch ältere Schüler konnten sich nicht erinnern, dass sie selbst oder einer ihrer Kameraden jemals Seppels Stock gespürt hätten. Die Methode des Strafens war bei Seppel ganz einfach. Wenn er der Ansicht war, dass einer von uns unbedingt seine Autorität spüren musste, so griff er mit Daumen und Zeigefinger dem Delinquenten in die Nackenhaare und drehte diese zwischen den Fingerspitzen zusammen, bis es richtig schön ziepte. Wir nannten diese Methode Zwiebeln.

    Schnell hatten wir festgestellt, dass wir Kriegswaisen in der Überzahl waren. Von achtunddreißig Klassenkameraden waren neunundzwanzig betroffen. Die Väter waren gefallen, vermisst oder in Gefangenschaft. Für uns waren unsere toten Väter Helden. Dein Vater Joseph, war in Afrika geblieben. Mein Vater war noch kurz vor Kriegsende in Polen beim Kampf mit Partisanen gefallen. Wir hatten einen abgestürzten Stuka-Piloten, zwei untergegangene U-Bootfahrer, einen Offizier der Wilhelm-Gustloff, vier Vermisste und fünf Gefangene. Einen hatten wir dabei, der hieß Stefan Rosenzweig. Er gehörte zu der Gruppe der Flüchtlingskinder. Sein Vater war im KZ umgekommen. Er hatte uns, als wir ihn nach seinem Vater fragten, dieses sehr leise gesagt. Nur kurz KZ. So richtig wussten wir nicht was das war KZ. Sein Vater war tot und damit gehörte er zu uns. Einer von den Flüchtlingen, Jochen, lebte bei seinen Großeltern. Er wusste nicht ob seine Mutter noch lebte und es war auch nicht klar, ob sein Vater noch am Leben oder in Gefangenschaft war.

    Seine Großeltern hatten schon die verschiedensten Meldungen über das Schicksal ihres Sohnes erhalten. Also zählten wir Jochens Vater zu den Vermissten und er gehörte zu uns. Irgendwie wurden wir von den Jungen, deren Väter wiedergekommen waren, beneidet. Unsere Mütter mussten sehen, wie sie das tägliche Essen für uns auf den Tisch brachten. Du hattest genau wie ich einen Bruder, der fünf Jahre älter war. Unsere Mütter und auch die anderen Kriegerwitwen hatten die täglichen kleinen und großen Sorgen alleine zu tragen. Sie waren immer damit beschäftigt irgendetwas zu organisieren, zu tauschen oder zu hamstern. Dadurch waren wir weniger unter Aufsicht, wir waren frei. Deine Mutter verdiente den Unterhalt für dich und deinen Bruder dadurch, dass sie zu anderen Leuten waschen ging. Meine Mutter hatte nähen gelernt und brachte uns als Schneiderin durch.

    Bezahlt wurde meistens mit Naturalien. Mehl, Zucker, Eier und Wurst. Ganz besonders wertvoll waren Kaffee und Zigaretten. Sie galten Gramm und Stückweise als Zahlungsmittel. Meine Mutter, mein Bruder und ich hatten das Glück über der Molkerei zu wohnen. Dadurch waren wir der Sorge um Brennmaterial für den Winter enthoben. Das ganze Haus wurde über die Dampfmaschine des Betriebes zentral geheizt. Diesem Umstand verdankten wir auch, dass wir immer warmes Wasser hatten. Ein weiterer Vorteil bestand darin, dass manchmal eine Kanne Magermilch, manchmal Vollmilch, etwas Butter oder auch Mal Quark abfiel. Richtig gehungert hatten wir aber trotzdem. Das Brot, wegen seiner Kastenform Kommissbrot genannt, war so feucht, dass es vor dem Verzehr auf der Herdplatte langsam getrocknet und geröstet werden musste. Mit zwei fingerdicken Scheiben Brot und einem dünnen Aufstrich von Kunsthonig sind mein Bruder und ich oft mit knurrenden Magen ins Bett gegangen. Das Klappern der alten Nähmaschine unserer Mutter hatte uns in den Schlaf gesungen.

    Die kleine Stadt hatte den Krieg fast ohne Schaden überstanden. Das heißt, es gab keine Gebäudeschäden, hier wurde nicht gekämpft. Krieg war für uns etwas, was nur dadurch stattgefunden hatte, dass die Sirenen ständig heulten, dass nach Einbruch der Dunkelheit alle Fenster mit undurchsichtigem Wachspapier-Rollos verschlossen werden mussten. Damit ja kein noch so winziger Lichtschein nach außen drang, waren seitlich an den Fensterrahmen Bretter mit Scharnieren angebracht, die dann auf die Ränder der Rollos gelappt wurden, damit das Wachspapier auch richtig gegen die Rahmen gedrückt wurde. Krieg bedeutete für uns, dass wir bei Alarm in den Heizungskeller gingen und da dann auf Holzliegen aufgereiht saßen und mit den Kindern aus dem Haus spielten oder auch, wenn der Alarm nachts kam, im Keller schliefen. In die Kellerwände waren Durchbrüche geschlagen, damit möglichst viele Rettungswege freiblieben, wenn das Haus von einer Bombe getroffen würde. Tolle Spielplätze. In allen Kellerräumen wurde Verstecken gespielt, die Hinweispfeile aus Phosphorfarbe leuchteten gespenstisch. Krieg war für uns meistens nur das, was wir aus den Gesprächen der Erwachsenen aufschnappten.

    Einmal im Winter 1944, wir hatten auf der Wiese hinter dem Haus große Schneehöhlen gebaut, wurden wir von Tieffliegern beschossen. Die älteren Kinder griffen sich die kleineren, mein Bruder riss mich am Arm hinter sich her in eine der Höhle.

    Der Spuk war vorbei. Sachkundig hatten die älteren Kinder festgestellt, dass die Amerikaner uns beschossen hatten. Wir waren ganz schön stolz. Krieg war, wenn sich die Erwachsenen erzählten, wer aus der Stadt gerade gefallen war oder wer als vermisst gemeldet wurde. Krieg waren evakuierte und einquartierte, Menschen, die aus ihrer Heimat weggehen mussten, weil sie vor dem Krieg geschützt werden sollten oder weil sie vor dem Krieg geflohen waren. Erst waren es Flüchtlinge, dann Vertriebene. Entwurzelte Menschen, unbeliebt überall wo sie einquartiert wurden.

    Am 10. Dezember 1944 kam der Krieg zu uns. Zu meiner Mutter, meinem Bruder und mir. Meine Mutter bekam einen Brief und ein Feldpostpaket. In dem Brief stand, dass mein Vater im heldenhaften Kampf für Führer, Volk und Vaterland in Polen vor Warschau gefallen war. In dem Feldpostpaket waren unter anderen Kleinigkeiten ein verschimmelter Napfkuchen, den meine Mutter für Vater zum Weihnachtsfest gebacken hatte, damit er an der Front auch etwas Weihnachtliches von zu Hause hätte. Mutter hatte furchtbar geweint. Unsere Mutter hatte noch häufig geweint, meistens nachts, wenn wir im Bett waren und sie glaubte, dass wir schliefen. Wir haben es durch die Tür zu ihrem Schlafzimmer gehört. Ich hatte dann auch etwas geweint, aber ganz still unter der Bettdecke. Mein Bruder sollte es nicht merken. Auch er geweint hatte, ich sollte es nicht merken.

    Eines Tages hingen in allen Fenstern weiße Laken. Der Krieg war aus. Im Hof am Aschenhaufen wurden Bücher, Papier, Fahnen, Armbinden und Uniformen verbrannt. Der Haufen qualmte und stank noch, als die ersten Amerikaner die Bahnhofstraße heraufkamen. Lässig saßen sie kaugummikauend in ihren Jeeps. Meinen ersten Neger sah ich hinter einem Maschinengewehr auf einem Schützenpanzer. Er war nur durch den schmalen Fluss etwa 15 Meter von mir entfernt. Er war pechschwarz. Den Stahlhelm hatte er ins Genick geschoben, ein breites Grinsen zeigte ein schneeweißes Gebiss. Auch die aufgeregten Rufe meiner Mutter konnten mich nicht dazu bewegen, meinen Posten zu verlassen. Die Fahrzeugkolonne kam vor dem Haus über die Brücke und bog in unsere Einfahrt ein. Sie rollte an mir vorbei auf die große Wiese, wo wir im Winter beschossen worden waren. Ich drückte mich an das Geländer, welches die Böschung zum Fluss sicherte. Es war schon beängstigend, diese großen Ungetüme mit dem ohrenbetäubenden Lärm der Motoren an mir Vorüberfahren zu sehen. Der Boden unter meinen Füßen zitterte. Der Panzer mit dem Neger hielt an. Der schwarze Mann stieg auf den Kettenkasten, ging in die Hocke und streckte mir seine Hand entgegen. Ich streckte meinen Arm aus und mit Schwung zog der Neger mich hoch. Ich landete zwischen seinen Beinen, er nahm mich auf den Arm und kletterte hinter den Turm des Panzers. Er beugte sich mit dem Kopf ins Turmluk und brüllte etwas nach unten. Der Panzer setzte sich in Bewegung und fuhr hinter den anderen Fahrzeugen her auf die große Wiese. Ich sah wie mein Bruder ins Haus lief, sicher wollte er meiner Mutter sagen, dass die Amis mich gefangen genommen hätten.

    Der Neger redete mit mir, verstanden hatte ich kein Wort. Aus dem Turm tauchte der Kopf eines weißen Mannes auf. War das nun auch ein Amerikaner? Er hatte einen Igelhaarschnitt. Er sprach mit dem Neger, ich sah nur von einem zum anderen, verstanden hatte ich nichts. Der Panzer hielt an, der Neger sprang mit mir auf dem Arm vom Fahrzeug. Auch der Mann mit dem Igelschnitt sprang ab. Noch drei andere Männer kamen aus dem Panzer. Einer sah aus wie ein Chinese, den ich im Geschichtsbuch meines Bruders abgebildet gesehen hatte. War das auch ein Amerikaner? Die Uniformen waren jedenfalls gleich. Die anderen Männer und der Mann, der wie ein Chinese aussah standen um den Neger herum und alle redeten auf mich ein. Ich verstand nichts und eigentlich wollte ich vom Arm des Negers runter und schnell weg. Doch plötzlich fragte der mit dem Igelhaarschnitt, er sprach ganz langsam „Möchtest du Kaugummi?. Dabei hielt er mir ein schmales grünes Päckchen hin. Ich griff danach und hatte ein Päckchen Kaugummi. Die Männer lachten. Meine Mutter kam mit meinem Bruder an der Hand quer über die Wiese, als sie bei uns ankam, redete sie auf die Männer ein, sie möchten ihr doch ihren Sohn wiedergeben. Billyboy, die anderen hatten den Neger so genannt, ging auf meine Mutter zu und setzte mich auf ihren Arm ab. Er sagte: „Okay, okay. Der mit dem Stoppelschnitt sagte wieder ganz langsam „Lady müssen keine Angst haben, wir keine Kinder stehlen. Können Babys ruhig hier lassen, wir aufpassen". Meine Mutter hatte mich schon auf den Boden gestellt, Mein Bruder interessierte sich für das Päckchen Kaugummi, gleichzeitig bettelten mein Bruder und ich, dass wir bleiben dürften. Da inzwischen auch andere Kinder aus der Nachbarschaft aufgetaucht hatten und zwischen den Soldaten und Fahrzeugen rumliefen, erlaubte meine Mutter, dass wir blieben. Sie ging zurück an den Rand der Wiese und stand noch eine Weile bei den anderen Erwachsenen, die aus der Entfernung dem Treiben der fremden Soldaten zusahen. Die Amerikaner schlugen auf der Wiese ihr Camp auf. Große Zelte mit Pritschen zum Schlafen, Klapptischen und Stühlen. Ein Küchenzelt, aus dem kurze Zeit später die tollsten Gerüche kamen. Zwischen den Zelten eine große freie Fläche, hier wurde ein hoher Mast aufgerichtet, an dem dann die amerikanische Fahne aufgezogen wurde und im Wind flatterte. Es wurde schon dunkel, als die Erwachsenen die Kinder nach Hause holten. Auch unsere Mutter stand auf dem Balkon und ließ den langgezogenen Pfiff ertönen, der unwiderruflich das Nachhauskommen signalisierte.

    Ich schlief gut in dieser Nacht. Den Kaugummi in der Backe, träumte ich von Billyboy, dem Neger mit den weißen Zähnen. Am nächsten Tag war Hausdurchsuchung. Die Amis kamen mit voller Ausrüstung. Einer blieb mit der Maschinenpistole im Anschlag an der Wohnungstür stehen. Ein Offizier und ein weiterer Soldat gingen mit meiner Mutter durch die Wohnung. Schränke wurden geöffnet. Der Offizier schob die Kleider mit der Hand beiseite und griff zwischen die Wäsche. Beim Durchsuchen des Schreibtisches fand er ein Abzeichen mit dem Hakenkreuz und das eiserne Kreuz von unserem Opa. „Beschlagnahmt Sagte er kurz und gab das Abzeichen und das eiserne Kreuz an den Soldaten weiter. Im Esszimmer blieb er stehen und deutete auf eine Stelle an der Wand, wo die Tapete verriet, dass hier ein großes Bild gehangen hatte. „Was für ein Bild? fragte der Ami.

    „Hitler sagte meine Mutter. „Scheiß Hitler Sagte der Offizier. „Scheiß Hitler sagte meine Mutter. Mein Bruder und ich sahen uns ganz erschrocken an. Unsere Mutter hatte Scheiß gesagt. Ich versuchte es auch und sagte „Scheiß Hitler. Ich glaube, wenn die beiden Amis, die gerade die Wohnung verließen schon draußen gewesen wären, hätte ich sicher eine hinter die Ohren bekommen. So traf mich nur ein strenger, strafender Blick. Mein Bruder griff mich an der Hand und zog mich in unser Zimmer. Gern wäre ich hinter den Amis her und hätte zugesehen, wo sie noch Haussuchungen machten. Aber nachdem ich Scheiß gesagt hatte, war es besser erst Mal außer Sicht von Mutter zu sein.

    Für uns Kinder waren die Tage schön, wir trieben uns im Camp der Amis rum. Außer Billy waren noch andere Negersoldaten im Camp. Im Küchenzelt waren zwei Neger, die sich mit den großen Töpfen und Pfannen zu schaffen machten. Und was da alles Essbares rumstand. Büchsen, Kanister, Kisten, Flaschen und Säcke. Von Billyboy bekamen mein Bruder und ich jeden Tag etwas zu essen. Wir saßen dann mit den anderen Soldaten auf den Pritschen oder an den Klapptischen und aßen, was diese von den Negern aus der Küche anschleppten. Auch die anderen Kinder aus der Nachbarschaft hatten ihre Amis, bei denen sie verpflegt wurden. Täglich wurden es mehr. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Feinde Menschen waren. Einmal hatte Billyboy eine Frucht geschält, von der Johnny, das war der, der so langsam deutsch sprach, sagte. Das ist eine Orange. Billy machte aus der Schale einen schönen Stern und legte diesen auf den Tisch. Dann zerteilte er die Orange in kleine Stücke und legte sie auf den Stern. Mein Bruder und ich durften die Orange ganz alleine essen. Sie war süß und saftig. Billy und seine Kameraden sahen uns beim Essen zu. Ich glaube, sie freuten sich darüber, dass es uns so gut schmeckte. Gern hätte ich ein Stück von dieser süßen Frucht für meine Mutter mitgenommen. Ich hatte mich aber nicht getraut. Billy wollte, dass ich mit ihm deutsch rede. Er zeigte auf einen Gegenstand oder nahm ihn in die Hand und fragte: What is? Ich sagte dann: „Tisch, weil er auf den Tisch gezeigt hatte oder „Messer, weil er auf das Messer gezeigt hatte und fragte: What is?. Billy sprach dann langsam nach „Tisch, Messer". Dabei zog er die Worte in die Länge, so wie Johnny das auch tat. Eines Morgens wachten wir auf, die Sonne schien durch einen Spalt im Vorhang, das Bett zitterte, die Deckenlampe klirrte, Motoren heulten, Ketten rasselten. Was war los? War wieder Krieg? Mein Bruder und ich stürzten in unseren Schlafanzügen die Treppe runter, zur Haustür raus und standen dann neben der Fahrzeugkolonne. Als ich Billy und Johnny auf ihrem Panzer sah, Billy mit Helm hinter dem MG, so wie ich ihn zum ersten Mal sah, als er kam, wusste ich, dass er ging.

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