Stabat Mater
2.5/5
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Info su questo ebook
Venedig im 18. Jahrhundert. Im Ospedale della Pietà, einem Kloster und Waisenhaus, können Neugeborene abgelegt werden, deren Mütter unerkannt bleiben wollen. So ergeht es einem kleinen Mädchen namens Cecilia. Sie wächst heran und spielt Violine im Orchester des Waisenhauses, das unter den Italienreisenden der Zeit berühmt ist. Als Cecilia etwa fünfzehn Jahre alt ist, beginnt sie, nach ihrer Mutter, ihrer Herkunft und Identität zu fragen. Nachts durchstreift sie ruhelos die verstecktesten Winkel des Klosters, schreibt Briefe an die unbekannte Mutter und kommt dabei verstörenden Geheimnissen auf die Spur.
Ihr Leben ändert sich, als ein neuer Violinlehrer im Waisenhaus eintrifft. Es ist der Komponist Antonio Vivaldi. Er erkennt Cecilias großes Talent, komponiert Sonaten für sie und verspricht, eine gefeierte Musikerin aus ihr zu machen. Sie wird zur Konkurrentin des Meisters. Aber Cecilia entzieht sich und wählt einen anderen Weg: ihren eigenen.
Tiziano Scarpa
Tiziano Scarpa was born in Venice in 1963. He is a poet, novelist, playwright and essayist. He has written a number of acclaimed novels including Eyes On the Broiler and Western Kamikaze. Serpent's Tail have published his 'cultural guide to Venice', Venice is a Fish. His radio play Pop Corn received international critical acclaim and was aired by the BBC and other European radio stations. He regularly speaks at creative writing conferences and writes for Italian national newspapers. In 1997 he won the 49th Italia Prize for his writing. Stabat Mater won the 2009 Strega Prize, the Italian equivalent of the Booker. He lives in Venice.
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Recensioni su Stabat Mater
24 valutazioni2 recensioni
- Valutazione: 1 su 5 stelle1/5I don't think even the author knew what he was doing with this book.
- Valutazione: 4 su 5 stelle4/5I loved the writing. Very poetic. The ending was a little bit abrupt, I was expecting something different I guess.
Anteprima del libro
Stabat Mater - Tiziano Scarpa
3
Frau Mutter, es ist tiefe Nacht, ich bin aufgestanden und hierhergekommen, um Euch zu schreiben. Zur Abwechslung, hat mich doch auch heute Nacht die Angst gepackt. Mittlerweile kenne ich dieses böse Tier schon recht gut, ich weiß, wie ich es anstellen muss, um mich nicht unterkriegen zu lassen. Ich bin zur Expertin meiner eigenen Verzweiflung geworden.
Ich bin mir Krankheit und Heilung zugleich.
Eine Flut bitterer Gedanken steigt in mir auf und schnürt mir die Kehle zu. Es ist sehr wichtig, sie zu erkennen und sofort zu reagieren, ohne ihr Gelegenheit zu geben, sich meines gesamten Geistes zu bemächtigen. Die Welle wächst rasch an und überschwemmt alles. Es ist eine schwarze, giftige Flüssigkeit. Sterbende Fische schwimmen an der Oberfläche, mit aufgerissenen Mündern schnappen sie nach Luft. Da ist wieder einer, keuchend kommt er nach oben, er stirbt. Dieser Fisch bin ich.
Ich sehe mich sterben und schaue mir vom Ufer aus dabei zu, meine Füße stehen bereits in der schwarzen, giftigen Flüssigkeit.
Ein weiterer Fisch treibt im Todeskampf nach oben, das ist der Gedanke an mein Scheitern, und wieder bin ich es, ich sterbe ein weiteres Mal.
Warum kommst du nach oben? Stirb lieber unter Wasser. Ich werde hinabgezogen, fühle, wie ich ertrinke. Alles ist dunkel.
Dann stehe ich wieder am Ufer, wieder bin es ich, wieder lebe ich, schaue aufs giftige Meer, schwarz bis zum Horizont, es wimmelt von toten Fischen, mit aufgerissenen Mäulern. Das bin ich, wir sind ich, tausend Mal, tausend Fische im Todeskampf, tausend Gedanken an Zerstörung, ich bin tausend Male tot, ständig sterbe ich, ohne den Kampf je aufzugeben. Das Meer schwillt an, es steigt, es ist giftig, schwarz.
Ich bin der Fisch mit dem glasigen Blick, der zum Sterben an die Oberfläche getrieben ist. Ich schaue nach oben, oberhalb meines Kopfes. Der Horizont ist blassblau, die Wolken sind dunkel, wie ein auf den Kopf gestelltes Meer besteht der wolkige Himmel aus unbeweglichen, verschwommenen Wellen.
Ich sehe das Ufer einer winzigen Insel, dort in der Ferne steht ein Mädchen und blickt sich um. Es sieht mir zu, während ich sterbe, es kann nichts für mich tun – dieses Mädchen bin ich.
Tu etwas für mich, du Mädchen am Ufer, tu es für dich selbst. Lass die Verbitterung über das, was du in dir fühlst, nicht zu. Wohin du dich auch wendest, siehst du deine Niederlage. Die schwarze Flut steigt, sie ist voll toter Fische. Reagiere doch, gib nicht nach.
Nun heißt es eilen, solange ich noch nicht vollkommen überwältigt bin, solange es noch ein Eckchen in meinem Hirn gibt, das fähig ist zu begreifen, was da mit ihm geschieht. Es gilt, sich mit letzter Gewalt dort hinzuschleppen, sich in den Winkel zurückzuziehen, der noch in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, und ich sagen kann.
Ich bin nicht diese Zerstörung selbst, ich kann es noch schaffen, noch bin ich stark, ich will mich nicht in diesem schwarzen Gift auflösen, ich bin nicht dieser ganze Tod, den ich da sehe, ich will dieses Meer nicht schlucken, werde nicht zulassen, dass dieses ganze Dunkel in mich eindringt und mich auslöscht.
Ich bin noch da, irgendwo, ich bin hier, getrennt von jener zerstörerischen Gewalt, die Angst hat mich noch nicht völlig überwältigt, es gibt da noch einen Fleck, an den ich mich zurückziehen, an dem ich sagen kann.
Wenn es mir noch gelingt, dies zu tun, so bin ich zumindest diese Nacht gerettet, ich bin noch in der Lage, aufzustehen und mein Bett der Qualen hinter mir zu lassen und hierherzukommen, um Euch zu schreiben.
Frau Mutter, zur Abwechslung habe ich heute Nacht wieder einmal mit aufgerissenen Augen an die Decke gestarrt. Eigentlich ist es keine Decke, denn über mir ist das Bett von Maddalena. Hier drin schlafen wir in Betten, die wie Regale an der Wand aufgereiht stehen. Wer unten schläft, hat eine Art persönliche Decke über sich, die aus den Brettern des oberen Betts besteht.
Meine Decke, das sind die Bretter des Betts von Maddalena. Sie ist ziemlich niedrig, wenn ich die Hand ausstrecke, kann ich sie berühren. Das tue ich natürlich nicht, denn mittlerweile kenne ich mich, ich bin zu zerstreut. In der Vergangenheit habe ich etwa den Arm ausgestreckt, während ich an etwas anderes dachte. Ich berührte die Bretter mit den Fingerspitzen, ohne es zu bemerken, zog ich einen Holzsplitter aus einer Kante und begann, noch immer ganz in Gedanken, mit den Fingernägeln am Holz zu kratzen.
»Was willst du?«, fragte Maddalena mich plötzlich und beugte sich über die Bettkante, ihr ganzer Kopf lugte herab. Ich zuckte zusammen. In der Dunkelheit konnte ich die Umrisse ihrer zerzausten Haare erkennen, es sah aus wie schwarze Schlangen.
»Wolltest du mir etwas sagen?«, fragte sie mich. Ich blieb stumm, ich hatte ihr nichts zu sagen.
Ich habe niemandem etwas zu sagen. Ich bin mit niemandem befreundet, hier drin.
Entschuldigt, ich erzähle Euch völlig unwichtige Dinge. Die Holzsplitter in den Brettern des Betts! Ich schäme mich, Frau Mutter, und bitte Euch um Verzeihung. Aber irgendwo musste ich doch anfangen, Ihr wisst nichts über mich, rein gar nichts wisst ihr.
Wenn die Angst kommt, wie fast jede Nacht, darf man keinesfalls im Bett bleiben. Also stehe ich auf und komme hierher, um Euch zu besuchen. Sommers wie winters. Vor allem im Winter tut es mir gut aufzustehen, das vertreibt mit einem Schlag alle Düsternis, wie ein Eimer mit Eiswasser. Dass mir dabei kalt wird, spielt keine Rolle. Mein Körper hat sich an diese bitterkalten Nächte gewöhnt. Immer noch besser, als in dem stickigen, ungesunden Bett von bösen Gedanken geplagt zu werden. Ich gehe die Treppe hinauf, bis ich hier oben angelangt bin, setze mich auf die oberste Stufe und lehne mich an diese Mauer, die gerade ausreichend Wärme abstrahlt. Das ist mein Geheimplatz. Für unterwegs lege ich mir einen Schal um, der mich beschützt, bei dem ich an Euch denken muss. Frau Mutter, ich hülle Euch mit meinen Gedanken ein, könnt Ihr mich spüren?
Ich habe den Arm ausgestreckt, berühre die Bretter des Betts über mir, breche einen kleinen Span ab, kratze an der rauen Oberfläche, als sich ein Frauenkopf über die Bettkante herabbeugt, anstelle der Haare sind da viele, viele schwarze Schlangen.
»Was ist, du hast mich gerufen?«
»Wer bist du?«, frage ich.
»Ich bin dein Tod«, sagt der Kopf mit den Schlangenhaaren. Die Stimme ist freundlich.
»Würdest du mir Gesellschaft leisten?«, frage ich.
»Soll ich dich mitnehmen?«
»Wenn es dir recht ist, möchte ich noch nicht sterben«, sage ich.
»Ja, was willst du dann?« Der Frauenkopf spricht weiterhin ganz freundlich zu mir, er hat die Geduld noch nicht verloren.
»Ich möchte, dass du immer bei mir bleibst.«
»Und worüber sollen wir denn reden?«
»Ich weiß es nicht«, sage ich.
»Ich mach nicht viele Worte.«
»Das ist egal.«
»Außerdem gibt es auch nicht viel zu sagen«, sagt das Schlangenhaupt.
»Es genügt mir schon, wenn du bei mir bist.«
»Wozu?«
»Ich möchte, dass du mir dabei hilfst, dich nie zu vergessen.«
Frau Mutter, erinnert Ihr Euch noch an mich? Wisst Ihr, wie ich heiße? Darf ich mich vorstellen: Cecilia. Gefällt Euch mein Name? Wie hättet Ihr mich denn genannt? Dachtet Ihr an einen Namen, als Ihr mich unter dem Herzen trugt?
(»Während meines kurzen Aufenthalts in Eurem Bauch«, hätte ich beinahe geschrieben.)
Ja, ich bin mit dem Dunkel vertraut, aber ich bin alles andere als stolz darauf. Gern würde ich meine Vertrautheit mit dem Dunkel hernehmen und sie gegen ein paar Stunden Schlaf eintauschen, um meinen Geist wieder zur Ruhe kommen zu lassen und ihm ein wenig Frieden zu gönnen. Wann ich begonnen habe, nachts aufzustehen, könnte ich Euch nicht sagen. Eines weiß ich jedoch gewiss: Die erste Erinnerung, die ich an mich habe, die am weitesten zurückliegende Erinnerung ist das Dunkel. Es ist so, ich übertreibe nicht, meine erste Erinnerung als kleines Mädchen sind meine im Dunkeln weit aufgerissenen Augen. Man könnte sagen, dass meine Kindheit eine einzige Folge ununterbrochener Dunkelheit ist. Ich sage Euch das nicht, um mich zu beklagen, und auch nicht, damit Ihr Euch schlecht fühlt. Es ist so, es ist nun mal einfach so.
Frau Mutter, habt Ihr Euch jemals vorgestellt, wie ich wohl bin? Habt Ihr Euch je gefragt, wie ich meine ersten Lebensjahre verbracht habe? Wenn Ihr wollt, dass Eure Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimmt, müsst Ihr Euch ein kleines Mädchen denken, das die Nächte mit offenen Augen verbringt, von Angst gepeinigt.
Ihr müsst nicht glauben, dass mir das Dunkel Angst macht. Oder die Stille. Hier gibt es nie vollkommene Stille. Tagsüber sind die Zimmer voller Stimmen und Musik. Nachts hört man die Atemzüge der schlafenden Mädchen. Jedes hat seine eigene Art zu atmen, und wenn ich nicht von anderen Gedanken gequält werde, bringe ich gern die Nacht damit zu, ihren unterschiedlichen Atemzügen zu lauschen. Einige schnarchen, doch das stört mich nicht. Jedes hat seine eigene nächtliche Persönlichkeit, die manchmal im Widerspruch zu der Person steht, die sie im Licht des Tages darstellt.
Jeden Morgen lässt die Sonne die Gesichter erblühen, wie Blumen.
Wenn sie schläft, atmet Maddalena schwer, zu ruhen scheint ihr große Mühe zu machen, wo doch tagsüber ihr Schritt leicht ist, ihre Worte zart sind und sie gerne lächelt. Vielleicht hat sie schwere Träume, in denen ihr all das wiederbegegnet, dem sie tagsüber aus dem Weg gegangen ist.
Ab und zu, wenn ich im Dunkel in meinem Bett liege, höre ich in der Ferne einen leisen, undefinierbaren Knall. Er scheint mich daran erinnern zu wollen, dass wir hier drin in einem riesigen, verwinkelten Gebäude voller Zimmer, großer wie kleiner, sind, dessen Treppen sich wie Stollen zwischen den einzelnen Räumen winden und dessen Stiegen in Diagonalen über architektonische Schlünde klettern.
Ich versuche mir vorzustellen, welchen Weg dieser Laut hinter sich gebracht hat, um bis an mein Ohr zu dringen, wie er wohl die Treppen hinaufgestiegen ist, Flure überquert, sich durch Ritzen gezwängt hat, durch Schlüssellöcher und Türen geschlüpft ist. Geräusche, selbst die unheimlichsten, waren mir immer ein Trost, weil sie mich von meinen Gedanken ablenken. Wenn ich die Ohren spitze und angespannt lausche, versetze ich mich weit weg von mir selbst.
Geräusche sind meine äußeren Gedanken. Sie sind der Teil meines Geistes, der sich außerhalb von mir befindet, jenseits meiner Umrisse, von meinem Körper entfernt. Sie sind mein umfassendstes Ich.
Wollt ihr wissen,